VBA Sprung nach vorn

Frank Vorbach M.A.

Der „Grosse Sprung“ der Volkskriegsarmee in das Informationszeitalter. Organisation, Ausbildung und Ausrüstung der Volksbefreiungsarmee Chinas.

Die Personalstärke der Volksbefreiungsarmee (VBA) liegt derzeitig bei 2.945.000 Soldaten und paramilitärische Kräfte. Die Teilstreitkräfte sind

  • das Heer (PLAA – People ́s Liberation Army Army) mit 1.600.000,
  • die Luftwaffe (PLAAF – People ́s Liberation Army Air Force) mit 300 – 330.000,
  • die Marine (PLAN – People ́s Liberation Army Navy) mit 255.000,
  • die Strategischen Raketenstreitkräfte (Second Artillery Force, SAF) mit 100.000
    und
  • die Paramilitärischen Kräfte mit 660.000 Angehörigen.¹

Die VBA wird von der Zentralen Militär-Kommission (ZMK – CMC Central Military Commission) geführt, deren Vorsitzender Hu Jintao gleichzeitig Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas (KPC – CPC Communist Party China) und Staatspräsident ist. Das ZMK ist mit Parteifunktionären und Generalen der VBA besetzt. Der Vorsitzende der ZMK ist traditionell der mächtigste Mann Chinas, da er das höchste Amt der Partei, des Staates und der Streitkräfte besetzt. Die Nachfolge in diese höchsten Ämter wird immer innerhalb der ZMK vorbereitet und führt generell über die Stellvertreterposition in der ZMK. Der ZMK untersteht die Zentrale Politische Abteilung der VBA, der Generalstab und die Zentrale Logistikabteilung. Diese 3 Abteilungen führen direkt die Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe, Marine, sowie die Strategischen Raketentruppen. Die bewaffneten paramilitärischen Polizeikräfte unterstehen direkt der ZMK.
Der Verteidigungsminister der VR China ist Mitglied des Staatsrates und der Regierung des Ministerpräsidenten, hat aber keine direkte Befehlsbefugnis für die VBA. Die Niederschlagung der Rebellion auf dem ́Platz des Himmlischen Friedens` 1989 erfolgte nach Befehlen aus der ZMK. Die Kontrolle der VBA durch die Kommunistische Partei Chinas wird durch die Zentrale Politische Abteilung gewährleistet. Politische Kommissare, Direktoren und Instruktoren sind von der Armee – bis zur Kompanieebene bei den militärischen Verbänden und Einheiten vorhanden.
China ist in 7 Militärregionen mit jeweiligen Kommandobehörden für Heer und Luftwaffe und einem gemeinsamen Oberkommando gegliedert, die Marineverbände sind in 3 Flotten zusammengefasst und in den jeweiligen 3 Oberkommandos der Militärregionen vertreten.
Eine Massierung der VBA Streitkräfte in den östlichen Militärbezirken Nanjing, Guangzhou und Jinan geographisch gegenüber Taiwan ist bezeichnend. Die Dislozierung einer großen Anzahl von taktischen Kurz – und Mittelstreckenraketen weist darauf hin, dass China auf eine Erklärung nationalstaatlicher Selbstständigkeit von Taipeh mit militärischen Mitteln antworten würde.
Die Ausbildung in der frühen ́Roten Armee` der KPC begann 1924 mit der Gründung der Whampoa – Militär – Akademie durch Sun Yatsen, der 1912 die Kuomintang (Nationale Partei) gegründet hatte. In der Akademie wurden sowohl Angehörige der Kuomintang als auch der KPC zunächst grundlegend infanteristisch ausgebildet, später wurde das Ausbildungsspektrum durch chinesische Lehrer wie Zhou Enlai, aber auch sowjetische Ausbilder erweitert. Der erste Kommandant der Whampoa – Akademie, war ein Freund Sun Yatsens, Chiang Kai-shek, der eine mehrwöchige militärische Ausbildung in Moskau erhalten hatte.2 Durch den Bruch der Beziehungen zwischen der Koumintang und der KPC nahmen ab 1927 keine Kadetten der KPC mehr an der Akademie – Ausbildung teil. Der Einfluss der Ausbildung auf die kommunistischen Teilnehmer der ersten Jahre wirkte allerdings lange nach. Der Bürgerkrieg der KPC mit der Kuomintang unter der Führung von Chiang Kai-chek und der gleichzeitige Kampf gegen die japanischen Aggressoren dauerte bis 1949, als Chiang Kai-shek mit einem Teil seiner Truppen und Anhänger nach Taiwan floh und die Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 in Peking durch Mao Zedong ausgerufen wurde. Einzelne Großverbände der chinesischen Roten Armee wurden ab 1946 sukzessive als Verbände der Volksbefreiungsarmee (VBA) Chinas geführt.

In dem mehr als 20 Jahre dauernden Kriegszustand konnte keine einheitliche effektive militärische Ausbildung und Erziehung der VBA stattfinden. Wenn in einzelnen Armeen Schulung und Ausbildung erfolgte, dann war es überwiegend politisch, ideologisch ausgerichtete kommunistische Kaderschulung. Nach der Staatsgründung 1949 übernahm China zunächst das militärische Ausbildungssystem der russischen Roten Armee mit der Einrichtung von Militärakademien. Nach dem Abbruch der kooperativen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der VR China zu Beginn der 1960er Jahre, wurde zunächst das System der Militärakademien beibehalten. Man nahm allerdings verstärkt national beeinflusste Unterrichtseinheiten in die Lehrpläne auf. Erziehung der Offiziere und Unteroffiziere der VBA erfolgten ausschließlich in Militärakademien, zivile Universitäten und Hochschulen waren nicht beteiligt. Von der „Kulturevolution“ wurde das militärische Erziehungs- und Ausbildungssystem erheblich beschädigt. Der militärisch nicht sehr erfolgreiche Krieg gegen Vietnam 1979 machte Defizite der militärischen Erziehung und Ausbildung deutlich, so dass zunächst die durch die „Kulturrevolution“ verursachten Behinderungen beseitigt und das ursprüngliche System wieder hergestellt wurde. Der Umfang der politischen Schulung wurde allerdings zugunsten technisch- militärischer Unterrichtung gekürzt.

Mit der Öffnungs- und Modernisierungspolitik Deng Xiaopings zum Ende der 1970er Jahre begann auch die Neuorientierung der strategischen Sicherheitskonzepte. Die VBA wurde massiv personell reduziert und einige Militärakademien geschlossen. Die Gründung der Nationalen Verteidigungsuniversität (National Defense University, NDU) 1985 führte erstmals zu einer alle Teilstreitkräfte umfassenden zentralen akademischen Einrichtung. Die Lehrpläne der Militärakademien wurden um zusätzliche wissenschaftliche Themen, wie Pädagogik, militärische Psychologie, Auswärtige Politik, Internationale Beziehungen, Management und Informatik erweitert.

Die intensive Analyse der Golfkriegs Szenarien von 1991 führte in der chinesischen Führung zu der Überzeugung, das zukünftige Kriege mit hoch technisierten Streitkräften (Schlagwort ́Informatization`) nur von Offizieren geführt werden können, die moderne Technologien beherrschen und dadurch die Streitkräfte effizient führen können.

Eine der wirkungsvollen Veränderungen des militärischen Erziehungs- und Ausbildungssystems erfolgte 1999. War die Ausbildung und Erziehung der Offiziere und Unteroffiziere bis dahin eine rein militärische Angelegenheit, so wurden nun die zivilen Universitäten und Hochschulen für die VBA geöffnet.3

In China gibt es ca. 3000 Universitäten und Hochschulen, davon sind 1300 staatlich, 1200 privat plus einer Reihe von Institutionen des 2. Bildungswegs. Der Hochschulzugang führt über eine landesweit einheitliche und obligatorische staatliche Prüfung zur Hochschulreife von Absolventen der oberen Mittelschulen. 17% dieser Schüler bestehen diese Prüfung (1998 waren es bedeutend weniger). Jährlich studieren ca. 20 Millionen Chinesen.4

Die Neuerung von 1999 war auch ein Ergebnis der Qualitätssteigerung des Schul- und Bildungssystems der Volksrepublik.

Graduierte Hochschulabsolventen konnten nun direkt in die VBA eintreten, ohne die vorher obligatorische 4 jährige Militärakademie – Ausbildung zu durchlaufen. Stipendien für vielversprechende Studenten wurden gewährt, wenn sie sich anschließend für den Dienst in der VBA verpflichteten. Ein Reserveoffizier – Ausbildungsprogramm (nach Vorbild des amerikanischen ROTC – Reserve Officer Training Corps) wurde eingeführt. Man richtete kooperative Forschungs- und Lehrprogramme zwischen Universitäten und Militärakademien ein und stellte zivile Dozenten für den Unterricht an militärischen Einrichtungen ein. Offiziere wurden an zivile Universitäten zu weiterführenden Studien und/oder zur Erlangung akademischer Grade entsandt.

Die oben skizzierte Entwicklung der Erziehung und Ausbildung zeigt die Dynamik, mit der China die Erziehung und Ausbildung von Offizieren und Unteroffizieren im Rahmen der nationalen Entwicklung an die neuen Anforderungen anpasst, die sich durch Verwendung modernster hochtechnologischer Waffen – und Führungssysteme und neuer operationeller Konzepte (Verbundene Operationen, Joint Operations) in den Streitkräften stellen. Diese Dynamik zeigt sich auch in der Erziehung und Ausbildung der Unteroffiziere, die man bevorzugt nach 3jährigem Studium an einer zivilen Einrichtung und einem Diplomabschluss einstellt.

Am Beispiel der Marine wird exemplarisch verdeutlicht, welche Bedeutung der akademischen Ausbildung der Führungsoffiziere beigemessen wird. Ab 2012 und bis 2017 will Xia Ping, der Leiter des Marinepersonalamts 2000 Offiziere mit dem akademischen Grad Ph.D (wissenschaftlicher Doktorgrad) einstellen. Xia Ping bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die PLAN 2001 einen Offizier mit einem Ph.D hatte, in dem Zeitraum von 2006-2010 aber bereits 100 Offiziere mit Ph.D ́s- und Master-Graden in der Marine dienten. Für den laufenden 5 – Jahresplan sollen 20% der Marineoffiziere akademische Grade haben.5

Wie in Fragen der militärischen Erziehung und Ausbildung kooperierte die Volksrepublik auch in Fragen der militärischen Ausrüstung, sowohl während des Bürgerkrieges als auch nach der Staatsgründung 1949, eng mit der Sowjetunion. Es blieben China allerdings auch kaum Alternativen, denn die technologisch führende pazifische Militär-Großmacht, die USA, unterstützten Chiang Kai-schek. Die Regierung auf Taiwan wurde offiziell als legitime Vertretung Chinas anerkannt und war auch als solche im UN Sicherheitsrat repräsentiert. China hatte nach 1949 bis zum Ende der 1950er Jahre keine Rüstungsindustrie, die dem westlichen technologischen Standard entsprochen hätte und war somit bei höherwertigen Rüstungsgütern auf Lieferungen aus der Sowjetunion angewiesen. In den 1950er Jahren waren Bilder von Mig15 und Mig17 Flugzeugen mit chinesischen Emblemen im Koreakrieg während des Einsatzes häufig zu sehen. In der Folge des oben bereits erwähnten Zerwürfnisses Chinas mit der Sowjetunion 1960, wurden mehr als 1000 russische Ingenieure ́über Nacht`, einschließlich aller Pläne, Zeichnungen und sonstiger Unterlagen, die an der Entwicklung für chinesische Nuklearwaffen gearbeitet hatten, abgezogen. Nun war China weitgehend auf sich allein gestellt. Trotzdem unternahm China 1964 ihren ersten oberirdischen Atomwaffentest in der Wüste Gobi und 1967 den ersten Test einer Wasserstoffbombe. Neben der erfolgreichen Entwicklung von Nuklearwaffen forcierte China auch die Entwicklung von taktischen und strategischen Raketen, trotz der Einschränkungen, denen China für den Import von Rüstungsgütern und militärisch nutzbarer Hochtechnologie unterworfen war. China ist heute eine Atommacht, die in ihrer Sicherheitsstrategie betont, Nuklearwaffen nur defensiv einsetzen zu wollen (Stichwort: No First Use, NFU, keine Erstschlag Operation). Im Rahmen der Modernisierung der VBA bemüht sich China, die Effektivität der nuklearen Zweitschlagskapazität zu erhöhen (Mobilität) und Mehrfachsprengköpfe ( MIRV – Multiple Independently Targeted Re- entry Vehicles) zu entwickeln.

China verfügt heute über eine Reihe interkontinentaler, ballistischer Raketensysteme und führt bemannte Weltraum – Operationen durch. Sie bauen derzeit ein dem amerikanischen GPS (Global Positioning System) vergleichbares Satellitennetz aus. Die Ausrüstung der Teilstreitkräfte Heer, Luftwaffe und Marine wird im Rahmen einer RMA (Revolution in Military Affaires) mit chinesischen Charakteristika modernisiert. Eine akute, konventionelle, regionale militärische Bedrohung Chinas ist derzeitig nicht erkennbar. Die VBA kann trotz des Modernisierungsbedarfs die Integrität das Staates sichern und militärischen Herausforderungen im direkten Umfeld Chinas erfolgreich begegnen.

Die nationale Sicherheitsstrategie Chinas wird in den sogenannten „White Papers“ in regelmäßigem Turnus veröffentlicht. Darin werden die Sicherung der nationalen Entwicklung und die Wahrung chinesischer Interessen als Aufgabe für die VBA dargestellt.6 Diese Interessen liegen beispielsweise in der Sicherung der Seewege im Pazifik und dem Indischen Ozean zur Rohstoff- und Energieversorgung. Die Durchführung dieser Operationen erfordern strategische Fähigkeiten der militärischen Machtentfaltung (power projection). Diese Fähigkeiten sind jetzt nur sehr bedingt vorhanden. China will diese Fähigkeiten u.a. durch den Einsatz von Flugzeugträgern (der erste führt gegenwärtig Seetauglichkeitstests durch), der Entwicklung und den Einsatz von modernen STEALTH Flugzeugen (J–20), der Erweiterung der Luft/Luftbetankungskapazitäten, der Entwicklung und Einführung von AWACS und JSTARS vergleichbaren Systemen, der Modernisierung der U- Bootflotte, der Verbesserung der Zielgenauigkeit von Raketensystemen (z.B. Endphasenlenkung) und der Integration von modernsten Marschflugkörpern an Flugzeugen, Schiffen und U-Booten erreichen.

Die RMA mit chinesischen Charakteristika ist ein technisch, operationell und finanziell sehr anspruchsvolles Vorhaben und setzt voraus, dass die wirtschaftliche Entwicklung Chinas in dem Umfang der letzten 10 Jahre anhält. Falls die bisherigen Steigerungsraten des GDP (Gross Domestic Product, Brutto Sozialprodukt) signifikant abnehmen oder gar stagnieren, müssen die Prioritäten der Verteilung der Ressourcen neu definiert werden. Innenpolitisch relevante gesellschaftliche und soziale Aspekte könnten dann, um sozialen Unruhen vorzubeugen, zu Verzögerungen geplanter Rüstungsvorhaben führen. Aber selbst wenn die RMA ohne wirtschaftliche Beeinträchtigung ablaufen kann, setzt militärische Machtentfaltung über große Entfernungen vom chinesischen Festland als ́Verbundene Operationen` aller Teilstreitkräfte oder von autarken maritimen Flugzeugträger-Kampfgruppen entsprechende Ausbildung und gründliche Erfahrung bei der Durchführung solcher Einsätze voraus. China hat seit der Invasion von Vietnam 1979 keinen Krieg mehr geführt. Konventionelle Kriegführung heute ist nicht mit den Szenarien von 1979 vergleichbar. Es bleibt daher abzuwarten, ob China diesen Sprung, bzw. die Transformation der VBA von einer Volkskriegarmee zu einer alle Facetten der modernen Informations – und Raumfahrttechnologie nutzenden Streitkraft in dem veranschlagten Zeitraum (2020) gelingt.

Anmerkungen:

1 International Institute for Strategic Studies. The Military Balance. 2011.

2 Spence,J.: Chinas Weg in die Moderne. (= Bundeszentrale für Politische Bildung, Band 704. 2008.) S. 413ff.

² Bickford, Th.: Trends in Education and Training, 1924.2007: From Whampoa to Nanjing Polytechnic. In: Hrsg. Kamphausen, R; Scobell, A; Tanner, T.:The „People“ in the PLA: Recruitment, Training, and Education in China´s Military. 2008. S.19.44

³ http://www.china.guide.de/china/bildungssystem/wichtige_hochschulen

Russell, Hsiao: PLA Navy Expands Recruitment Drive to Enhance Operational Capability. The Jamestown Foundation, China Brief. Volume 11, Issue 9. http://www.jamestown.org/programs/chinabrief/

Chinas National Defense in 2010. http://eng.chinamil.com.cn/specialreports/China%20National%20Defense%20in%202010.htm

Seeversorgungswege Chinas:
Military and Security Developments Involving the People’s Republic of China 2011. 2011_CMPR_Final.pdf. Nach meiner Kenntnis frei verfügbar.

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© Frank Vorbach September 2011

 

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